Meine Vision

 

„Das Fachwerkhaus“

Schon in sehr jungem Alter hatte ich so einiges erlebt. Mir vertraute Menschen taten mir schlimmes an, welches ich jedoch noch nicht verstand. Außer mein Gefühl mir sagte, das ist nicht in Ordnung was mein Onkel und vor allem mein Cousin mit mir machten und ich wollte es nicht, doch zu hilflos und zu ohnmächtig um mich zu wehren und zu ängstlich und zu klein mich zu öffnen und anzuvertrauen. Sicher auch zu verunsichert durch die Worte und Drohungen, die ich zu hören bekam. Und sie gehören zu meiner Familie, sie liebten mich, also kann es doch nicht „falsch“ sein – was sie taten ??? So blieb ich stumm….
 

Meine Eltern ließen sich scheiden, so dass meine Mama, mein Bruder und ich eine lange Zeit mit sehr wenig Geld alleine lebten. Ich spürte Mamas Angst. Von Zeit zu Zeit holte unser Vater, meinen Bruder und mich ab, doch ich erinnere mich, wie ich immer im Auto saß – der Himmel dunkel, wie ich die Sterne anschaute und die Tränen meine Wangen runter liefen. Ich weinte, still und leise – nur für mich. Vermutlich aus Angst uns „falsch“ zu verhalten und wieder die geballte Stärke seiner Fäuste und Hände zu spüren. Mein Bruder trotze dem jedoch sehr oft und „provozierte“, wollte ihm wohl zeigen – du kannst uns nichts anhaben. So dass sich dieses Dilemma der Fäuste sehr oft abspielte und ich sah.

 

Eines Tages lernte meine Mama einen Deutschen bei einem Feuerwehr- Austausch von ihrem Bruder kennen und sie verliebten sich. Viele Monate vergingen, in denen Jürgen uns jedes Wochenende in Frankreich besuchte. Ich freute mich jedes Mal, wenn er kam. Den bei ihm durfte ich im Auto sogar vorne sitzen, er häufte immer mehrere Decken übereinander, damit ich raus gucken konnte und ich fühlte mich groß und stark. Ich fühlte mich so wohl bei ihm, dass ich eines Tages frühen Anfanges der Kennlernphase von Mama und Jürgen, mit meinen 4 Jahren, beim Mittagsessen am Tisch einfach pupse … Meine Mama war es sehr unangenehm, ich freute mich und auch Jürgen grinste….das Eis war gebrochen !

 

Als ich fünf Jahre alt war, zog meine Mama mit meinem Bruder und mir in ein fremdes Land. Wir wanderten aus – von Frankreich nach Deutschland. Plötzlich war nicht nur meine Umgebung neu, meine Spielfreunde weg, meine geliebten Cousinen von mir so weit entfernt – nein auch eine Sprache hörte ich, die ich nicht verstand. Und ein kleines Schwesterchen gab es nun auch. Und in Deutschland gab es nur kalten Kakao, dabei mochten wir doch nur warmen…. Später erklärte mir meine Mama, dass die Mutter von Jürgen, meinte an einem warmen Sommertag, sei uns kalter Kakao lieber…

 

Mein Bruder und ich hatten von klein auf ein sehr enges Verhältnis,

er war ein großer Bruder wie er im Buche steht. Einer der auf seine kleine Schwester aufpasst, der es zu verhindern wusste – wenn ihr jemand zu Nahe kam. Es tat mir sehr gut, mich so in Sicherheit zu fühlen. Es stärkte mein Selbstbewusstsein, es stärkte mein Inneres. Es ließ mich förmlich „wachsen“ und das Vertrauen in andere Menschen wieder zu bekommen.

 

Ich bemerkte sehr früh, dass sich viele Menschen mir anvertrauten. Mir ihre „Probleme“ mitteilten. Mir sagten, was sie bewegt, was sie beschäftigt, mir sagten weswegen sie traurig, wütend, enttäuscht und verletzt sind. Manchmal fragte ich mich, wieso ausgerechnet mir – „alle“ Menschen so vieles anvertrauten und sie sich so wohl bei mir fühlten und öffneten. Oftmals waren es sogar Menschen, die ich gar nicht kannte oder erst gerade kennen gelernt hatte. Das faszinierte mich.

 

Meine Mama war Krankenschwester. Sie durchlief mehrere Stationen des Krankenhauses, doch keine Station erfüllte sie ausgiebig. Bis sie eines

Tages auf der Palliativstation ankam. Da ging sie auf, es war ihre Erfüllung. Menschen die kurz vor dem Tod sind, zu helfen, ihnen Nahe sein, ihnen zuzuhören, beizustehen. Wir sprachen sehr viele tiefe Gespräche darüber. Ihre Abschlussarbeiten für sämtliche Weiter- und Fortbildungen kontrollierte ich, so dass ich immer mehr und tiefere Einblicke darüber bekam und meiner Mama noch näher, als eh schon, kam. Wir führten viele Gespräche, auch viele Gespräche von früher. Die ihr sehr weh taten. Sie weinte viel, weil sie es damals nicht gesehen hat. Sie hatte so viel Schmerz, so viel Leid, halste sich selbst so viel Schuld zu. Ich wollte dies nicht, es tat mir weh sie so leiden und weinen zu sehen. Sie war doch damals selbst erst 18 Jahre alt, als ich zur Welt kam – bei meinem Bruder war sie erst zarte 15 Jahre alt. Selbst noch so klein, selbst noch so jung, selbst so viel Leid, Kummer und Schmerzen zugefügt bekommen. Durch die vielen Gespräche erkannte ich, dass auch ich Bedürfnisse und Gefühle hatte… das ICH selbst über mein Leben entscheide. Das war sehr neu für mich, da ich vieles unterdrückt hatte, vieles verdrängt und nicht mehr sehen wollte. Es war wie eine neue Welt – in der ich noch so einiges mehr für mich lernen wollte …

 

Der viele Schmerz in Frankreich verbündete meine Mama, mein Bruder und mich sehr. Wir waren ein Trio. Mein Bruder ging jedoch schon sehr früh, den Rebellierenden Weg. Er nahm Drogen und war in der kriminellen Szene bekannt. Es gab mehrere Jahre mit wenig Kontakt und wenn wir Kontakt hatten, waren diese Treffen meist unerfreulicher Natur. Auf Grund von Halluzinationen, Wahnvorstellungen und sich „fremd gesteuert“ zu fühlen / Stimmen zu hören, ging mein Bruder im Januar 2004 mit einem langen Messer auf unseren Stiefvater los. Es war ein Spektakel des Grauens, wo ich nicht bei war. Mein Stiefvater, meine Mama, meine Schwester, Tante, Onkel, Cousin, Cousine & Mann und deren Kinder waren geschockt, traumatisiert möchte ich meinen. Ich hörte aus deren Erzählungen von diesem Abend. Es begangen viele Monate von Besuchen - an jedem zweiten Tag - in einer Psychosomatischen Klinik. Es kostet mich sehr viel Kraft. Doch ich wollte meinen Bruder nicht alleine lassen. Langsam näherte sich auch meine Mama meinem Bruder. Was natürlich durch das Erlebte viel Zeit, Geduld, Vertrauen und einige Schritte vor sowie zurück bedeutete. Meine Schwester und mein Stiefvater zogen sich mehrere Monate, gar Jahre zurück.

Die Verbindungen waren gestört, nachhaltig verändert. Meine Mama und mein Bruder gaben sich sehr viel Mühe. Meine Schwester nahm es später eher „locker“ hin. Die Verbindung zwischen meinem Bruder und Jürgen war komplett zerrüttelt.

 

Rückhalt bekam ich während dieser Zeit von meinem Ehemann, mit dem ich seit 22.11.2000 zusammen war. Nach fünf Jahren Beziehung fragte er mich, ob ich ihn heiraten möchte und so heirateten wir ein Jahr später am 18.08.2006. Es war ein sehr schönes Familienfest, wo auch viele Verwandte aus Frankreich kamen und unsere Familie ein Stückchen wieder näher zusammen rücken ließ. Wir kauften uns ein Reihenmittelhaus und zogen ein. Es passierte sehr viel in dieser Zeit, eine große Entwicklung – die Heirat, ein Haus, ich nahm über 25kg ab. Jeder entwickelte sich auf seine Art und Weise und wir verloren uns als Ehepaar. Bereits am 14.12.2009 wurden wir geschieden. Für viele in unserem Umfeld brach eine Welt zusammen und viele ver- und beurteilten mich dafür, dass ich mich von ihm trennte. Es tat mir sehr weh.

 

Im selben Jahr der Scheidung, da war ich 24 Jahre alt, entschied ich mich eine Therapie zu machen. Da ich bemerkte, dass sich meine Vergangenheit immer wieder zeigte. Mich blockiert, mich hemmt und ich wollte mich davon lösen, es verarbeiten und wieder die „Oberhand“ in meinem Leben haben und meinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen nachgehen !

 

Wie es das Schicksal wollte, war es genau die richtige Entscheidung – mich in Therapie zu begehen… mich bereits in Sicherheit wiegen, mich geborgen und verstanden zu fühlen… den am 11.04.2010 kam abends ein Anruf. Ich war beim Nebenjob und als meine Kollegin grinsend mit dem Telefon neben mir in der Küche stand – wusste und spürte ich sofort, es ist was passiert. Den niemals zu vor, seit den ganzen sechs Jahren dort tätig zu sein – hatte mich je einer dort angerufen. Yvette grinste, da eine Frau am Telefon „Alexandra“ verlangte und Yvette erst nicht verstand – das Alexandra „Alex“ ist. Ich nahm den Hörer und hörte die Stimme meiner Schwester, die schluchzend versuchte mir was zu erzählen. Ich verstand nur Bruchstücke und kämpfte mir meiner Schürze, diese los zu werden. Ich verstand Unfall, Jürgen ist im Delmenhorster Krankenhaus und Mama nicht gut. Mama Mama… immer wieder Mama und Tränen…. Marlies, eine sehr herzensliebe ältere Kollegin, die ich immer liebevoll „Super Oma“ nannte – half mir die Schürze abzubinden. Ich werde mich ewig an die Blicke, an die Ausstrahlung der Augen meiner Kollegen erinnern – die sich wunderten und geschockt um mich herumstanden – als ich fast brüllend stammelte … ich muss los … ich muss…. Meine Mama … Unfall ….. fast wie in Trance schnappte ich meine Tasche und rannte raus…. Hörend wie Martin, mein Chef, rief „Alex wir können dich fahren“ ….. doch ich ignorierte diese Worte, warf ein „Nein“ - Zeichen über meine Schulter mit meiner Hand und lief weiter in Richtung Parkplatz. Auf dem Weg dorthin versuchte ich nach meinen Zigaretten und Feuerzeug zu greifen, mein Autoschlüssel zu finden und hielt mein Handy krampfhaft fest. Die Tränen liefen mir die Wangen hinunter und ich fühlte mich wie im Traum … merkte wie ich mir immer selbst sagte „Es ist alles in Ordnung. Nur ein Unfall. Es ist nichts passiert. Bleib ruhig.“ … ich wusste nichts war in Ordnung …. Ich telefonierte mit meinem Bruder … Ich erreichte meinen besten Freund Florian, den ich bat – so schnell wie möglich zu mir zu kommen – um mich dorthin zu fahren. Er zögerte keine Sekunde und fuhr sofort los. Ich weiß nicht wie, doch mein Auto brachte mich mit gefühlten 100 Sachen nach Hause – wo ich sofort wieder Flo anrief … der natürlich in Anbetracht der längeren Strecke noch gar nicht da sein konnte. Um mir die Zeit zu verkürzen rief ich eine Freundin an, die ich ausn Schlaf zog und mich daher entschuldigte und nur sagte, was passiert sei und sie im Ungewissen zurückließ. Dann tauchte Florian auf und wir fuhren auf die Autobahn…. Wieder telefonierte ich mit meinem Bruder und Freundinnen, Tränen liefen und liefen, eine Zigarette nach der nächsten landete in meinem Hals. Im Krankenhaus in dreckigen und schmutzigen Küchenklamotten angekommen, lief ich rein … ein langer Flur … im Augenwinkel erkannte ich einen befreundeten Freund von uns auf einem Stuhl sitzen, der knallrote Augen hatte und den Blick mit Tränen fließend senkte, als er mich sah … im nächsten Moment sah ich schon meine Schwester auf mich zu gelaufen kommen .. sie schrie und schrie … es war kaum auszuhalten … sie rannte mir in die Arme und weinte bitterlich …. Dann nahm sie meine Hand und führte mich in ein Raum … wo Jürgen auf einem Bett, halb nackt und blutverschmiert lag … wir nahmen uns in die Arme und ließen nicht mehr los … ohne ein Wort gesagt zu haben, wussten wir alle Bescheid ….

 

Es kam eine schwere Zeit auf mich zu … in der ich lediglich funktionierte …abgeschnürt von meinem Gefühlen, die Trauer und jeglicher Schmerz fanden keinen Platz … bis ich im August 2010 einen Autounfall verursachte, beide verwickelte Autos waren ein wirtschaftlicher Totalschaden … mein Zusammenbrach, drei Wochen zu Hause, ich zog mich zurück und verkroch mich, mochte niemanden sehen, nichts machen, nichts hören … mein Körper zwang mich dazu, endlich meine Seele – meine Gefühle und Bedürfnisse anzuschauen und anzunehmen. Es fiel mir sehr schwer, hin zu schauen … der Schmerz über den Verlust, den Abschied meiner geliebten und noch so jungen Mutter ( 43 Jahre ) hinterließ eine groß klaffende Wunde in meinen Herzen und das schlimmste für mich war. Ich wusste nicht wohin mit all dem Schmerz. Ich fühlte mich so alleine mit meinem Schmerz. Natürlich halfen mir auch die Gespräche mit meiner Therapeutin, in der ich über die Zeit tiefes Vertrauen gefasst hatte. Und auch meine Freunde waren für mich da. Doch der Verlust, die große Lücke in mir – die meine Mutter hinterließ – war erdrückend. Meiner Familie wollte ich keine zusätzliche Belastung sein. Ich spürte ihre Angst darüber, mich zusammengebrochen zu sehen – die sonst immer starke und große Alex war plötzlich am Boden. Das fiel ihnen schwer auszuhalten. Und mein Bruder, selbst so labil und psychisch krank – ich sah die Angst in deren Augen. Die folgenden Schritte, die ich unternahm, folgten sehr vorsichtig und langsam … behutsam, bis ich einige Zeit später, im Mai 2011, für sechs Wochen auf Reha nach Bad Wildungen ging.

 

Diese Auszeit hab ich so sehr genossen. Es tat richtig gut zu spüren – dass sich jemand um mich kümmert. Ich gehört und verstanden wurde. Die Ruhe, die Stille, ein befreiendes Gefühl, alles los lassen zu können. Ich meine Bedürfnisse und Gefühle wahrnahm. Natürlich waren es auch sechs sehr schwere Wochen, in denen ich viel weinte und mein Kummer und Schmerz spürte. Doch ich lernte soviel für mich, nahm so vieles mit nach Hause. Ich erkannte, dass ich für mich selbst viel tun konnte. Die ganzen Therapien und nicht zuletzt die vielen neuen Bekanntschaften, die ich erleben durften – tankten mich förmlich wieder auf.

 

Seit dem Tod meiner Mutter, quälte mich die Frage – nach dem „Warum“ … wieso nahm mir der liebe Gott meine Mutter. Doch keiner hatte Antworten auf diese Fragen. So entschied ich mich, gegen der Meinung vieler, die mir davon abgeraten hatten. Den großen Hospizkurs der Sterbegleitung in Bremen aufzusuchen. Mein Herz füllte sich mit den lieben und offenen Worte der Gruppe. Plötzlich verstand ich für mich immer mehr und wuchs daran. Ich sah den Tod meiner Mutter immer noch als sehr schmerzvoll, doch ich konnte mit meiner Trauer umgehen. Dieser geschützte und liebevolle Rahmen, ermutigte mich dazu offen meine Trauer und Gefühle auszusprechen. Umgeben von Menschen, die mich auffingen, wenn ich fiel. Ich wusste, ich tat richtiges als ich auf mich und meiner inneren Stimme hörte – den Kurs zu besuchen. Dort lernte ich auch eine mittlerweile sehr lieb gewonnene Freundin dazu, die mit ihrem Bruder eine ähnliche Situation wie ich erlebte. Wir unterstützen uns gegenseitig, in dem wir uns über unsere Brüder austauschten.

Schon vor dem Tod von Mama, versuchte mein Bruder immer wieder auf den „richtigen“ Weg zu kommen. Er unternahm sehr viel, doch leider scheiterte er immer wieder. Ich begleitete ihn stets, half ihm wo und wann ich nur konnte. Im Oktober 2011 verschwand mein Bruder spurlos. Die ersten 2-3 Tage ohne von ihm zu hören fand ich seltsam – dachte mir jedoch, vielleicht möchte er einfach einwenig Ruhe, am nächsten Tag bekam ich immer mehr Hummeln, so telefonierte ich rum. Da die Anrufe erfolglos blieben, fuhr in der Mittagspause zu ihm nach Hause, dort erwartete mich ein Bild des Schreckens. Überall lag Müll umher, Essensreste, es roch nach kaltem Rauch. Ich sah sein Portemonnaie samt seiner Papiere, als ich gerade die Wohnung verlassen wollte- ertönte ein Piep- Signal – welches mich noch mal in den Wohnzimmer zurück gingen ließ. Ich suchte und schaute und fand schließlich sein Handy auf dem Fußboden liegen. Ich verließ die Wohnung und stieß dabei auf seinen Wohnungsschlüssel, der sich im Flur unter seinem Schuhregal befand – der Autoschlüssel fehlte. Draußen angekommen konnte ich sein Auto nicht finden !!! In dem Moment gingen mir –zig Bilder durch den Kopf …. Sofort rief ich bei der Polizei an – da erfuhr ich, dass er in einem Bremer Krankenhaus in die geschlossene Psychiatrische Einrichtung eingeliefert wurde. Er hatte ohne ärztliche Aufsicht seine Medikamente abgesetzt und eines Abends einen „Anfall“ in Form von Halluzinationen und halb nackt durch seinen Ort laufen bekommen. Weswegen ihn die Polizei abführte und dort hin brachte. Da er Volljährig war und nicht wollte, dass jemand informiert werden würde – aus Scham und Angstgefühl – verblieb ich viele Tage im Ungewissen. Als ich endlich erfahren hatte, dass er in der Psychiatrischen Einrichtung war… fuhr ich erneut in seine Wohnung und packte einige Sachen zusammen – dann kam meine Schwester und wir machten uns auf dem Weg zu ihm. Der Anblick meines Bruders ließ mich erstarren, ich war ohnmächtig und die Erinnerung an 2004 waren sehr präsent. Er hatte knallrote Augen, die geschwollen waren …seine Klamotten, die seinen Körper bedeckten – gehörten nicht ihm und hingen wie ein nasser Sack an ihm herunter, er war ungepflegt, sah erschöpft und total neben sich aus …. Mir fiel es schwer, diese Situation auszuhalten und teilte ihm dies mit. Mir tat es sehr weh ihn so zu sehen, ich hatte große Sorgen um ihn. Er verstand meine Worte nicht. Doch als wir los fahren wollten, nahm er mich in den Arm und weinte wie ein kleines Kind, ganz ungehemmt und entschuldigte sich für sein Verhalten. Ich sagte ihm, dass ich ihn liebe und mir Sorgen um ihn mache – ich da bin und ihn begleiten werden – wenn er dies möchte. Er nickte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

 

In der Zeit seines Krankenhaus- Aufenthaltes renovierte ich mit Hilfe seiner Freunde seine komplette Wohnung. Wir wollten ihm, bei seiner Rückkehr eine besondere Freunde machen – für ein Neustart in sein Leben. Leider blieben die Kartons, die wir noch nicht eingeräumt hatten, unberührt. Da er nicht mal 2 Wochen, nach seiner Rückkehr und großem Freudeausbruch über die Überraschung in eine andere Psychiatrische Einrichtung eingewiesen wurde – um wie er mir sagte – medikamentös optimal eingestellt zu werden.

 

In diesem Monat hatten wir weniger Kontakt, dieser beschränkte sich auf wenige sporadische Nachrichten und ganz ganz wenigen Besuchen. Er versicherte mir stets, es ginge ihm noch nicht sehr gut, doch er sei in guten Händen und es sei alles in Ordnung. Er möchte, dass ich mich einwenig entspanne und an mich denke.

 

Mein Hospizkurs ging seinem Ende entgegen, nur noch ein Monat – dann war dieser zu Ende. Als ich am 05.01.2012 während des Kurses wegen einem inneren komischen Gefühl kurz auf mein Handy schaute und sah, dass mich meine Nachbarin bereits 2x versucht hatte zu erreichen und eine Nachricht auf meinem Handy aufleuchtete, in der stand „Alex, ich weiß ja nicht was bei dir los ist, doch die Polizei stand schon 2x vor deiner Haustür.“ … Sofort schnürte sich mir alles zu und ich wusste, es konnte nur etwas mit meinem Bruder zu tun haben. Da ich, als er das erste Mal eingewiesen wurde – meine Daten der Polizei und sämtlichen Behörden gegeben hatte, für den Fall des Falles es sei was mit ihm. Wegen seines Verschwindens im Oktober hatte ich die Telefonnummer noch von der Polizei im Handy gespeichert, die ihn damals aufgefunden hatte. Ich hatte nur eins im Kopf, nach Hause kommen und erfahren, was passiert ist. Somit setze ich mich ins Auto fuhr los und rief die Polizei an. Die Dame am Telefon wusste sofort wer ich bin. Da sie die Autofahrgeräusche vernahm, fragte sie mich, ob ich selbst am Auto fahren sei - ich bestätigte. Sie bat mich, anzuhalten. Ich folgte ihrer Bitte und fuhr auf die Einbuchtung beim Weserstation und hielt an. Mit leiser und zögerlicher Stimme sagte ich „Mein Bruder ? Davy ?“ Sie teilte mir behutsam mit, dass sie es mir am Telefon nicht sagen dürfe und nun eine Ausnahme machen würde. Ich schluchzte, ahnend das etwas schlimmes passiert ist. Sie erzählte mir, dass sie meinen Bruder heute geborgen haben. Er sei verstorben. Er habe sich das Leben genommen. Natürlich bohrte und fragte ich weiter und wollte wissen, wann wie, was und überhaupt. Doch ich bekam keine Antworten. Ich nahm meinen Weg wieder auf. Informierte meine Schwester, meinen Stiefvater und zuletzt eine Freundin, der ich die Worte am Hörer sagte „Es ist wieder passiert“ …sie schrie auf und sagte nur „Ich bin sofort bei dir“ und legte auf. Die Gespräche, die ich führte mit meiner Schwester und meinem Stiefvater werde ich nie vergessen. Auch die Schreie von damals von meiner Oma die durch den Hörer schallten, als ich ihr von dem Tod meiner Mutter – ihrer Tochter erzählte, waren sofort wieder präsent.

 

Der Hospizkurs zeigte sich mir auch da als eine wahnsinnige Stütze, dort fand ich Halt und Geborgenheit. Raum und Zeit für meine Trauer.

 

Immer mehr wuchs der Wunsch in mir, Menschen noch besser helfen zu können und mich selbst dabei nicht zu vergessen. Der Weg, der sich mir zeigte, den ich gegangen war – war sehr steinig, oftmals sehr schwer – doch in allen Schicksalschlägen die ich erlebte – spürte ich einen großen Wunsch. Ihnen einen Sinn zu geben, für mich selbst, meine lieben Verstorbenen und für meine Mitmenschen. Weiterzugeben, was ich aus ihnen lernen konnte, weiterzugeben was ich alles großartiges an Hilfen und Zuneigung bekam. In jedem noch so schlimmen Schicksalschlag ist auch immer eine „gute“ Seite zu finden. Manchmal gilt es eben nur genauer hinzuschauen. Manchmal gilt es, den Mut zu haben – aufzustehen… den Weg weiterzugehen.

 

Eines Nachts hatte ich einen Traum, ein Fachwerkhaus ! Ein Haus, wo Menschen Hilfe bekommen können – wo jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit willkommen ist. Mit Gesprächen, „einfach“ Dasein und zuhören, Rückhalt, Mut … ein Rundum- Paket für Körper, Geist und Seele. Immer mehr und immer klarer wurde diese Vision in mir lebendig und ein neuer Weg kam zum Vorschein. Ich lernte bei einem Wellness- Wochenende eine Heilpraktikerin kennen, die ausgerechnet ein Dorf weiter von mir entfernt wohnte. Wir freundeten uns an und unternahmen viele Spaziergänge mit vielen tiefen Gesprächen. Manchmal erschien es mir, wie wenn Oma und Enkelin durch die Gegend liefen. Bei ihr fand ich viel Hilfe, viel Halt und sehr viel Verständnis. Ich erzählte ihr von meiner Vision und sie versprühte so viel Begeisterung und Freude und erzählte mir von der Mediationsausbildung in Steyerberg. Denn „wohin“ ich wollte – das wusste ich bereits - doch der Weg dorthin war mir noch unbekannt. Es vergingen einige Monate in denen ich mich informierte und umschaute – bis mein Weg mich zu Britta führte. Ich nahm an einem mehrwöchigen Seminar von ihr teil, der aus drei Teilnehmern bestand – einem Ehepaar und mir. Ich spürte, dass das Ehepaar großes Bedürfnis nach Vermittlung, Klarheit und Hilfe hatte und so entschied ich mich, am nächsten Tag Britta zu schreiben – das ich nicht wieder kommen werde. Wir waren auch beide der gleichen Auffassung, das es dem Ehepaar sehr gut täte und wir alle drei auch auf unterschiedlichen Ebenen unterwegs waren. Trotz das Britta und ich uns nicht kannten, uns nur einmal gesehen hatten – schrieben wir nach kurzer Zeit sehr vertraut mit einander. Eines Tages vereinbarten wir ein Treffen und dort erzählte ich ihr von meiner Vision. Wieder hörte ich, in Steyberg gibt’s eine super Mediationsausbildung – das ist bestimmt was für dich. Neugierig auf ihre Erfahrungen, die sie dort erlebte – als sie ihre Ausbildung dort machte, hörte ich ihr gebannt zu. …meine Entscheidung war getroffen und so meldete ich mich an.

 

Die Mediationsausbildung hat mich ein ganzes Stück getragen, mir viel beigebracht, mir viel gezeigt. Ich kam einige Male selbst an meine Grenzen, berührt von meinen eigenen Erfahrungen. Ich bin begeistert und fasziniert von den großartigen und so unterschiedlichen Menschen, die ich hier kennen lernen durfte.

 

Meine Vision – das Fachwerkhaus mit dem Rundum- Paket - wird immer lauter und immer klarer. Es ist eine ganz große Herzensangelegenheit. Auf meinem Wege kreuzen sich Verbindungen zu Menschen, die ebenfalls so viel Freude und Begeisterung für dieses Fachwerkhaus empfinden – es ist wahnsinnig und so bereichend zu sehen.

 

Eines Tages kam mir „Lebenszauber – der Weg ist das Ziel“ in den Sinn und ich spürte, das ist es !!! Ich verliebte mich sofort in diese Worte …das Leben steckt so voller Zauber und der Weg ist das Ziel ist so wahr. So viele Wege, die ich schon ging und so viele Wege die ich noch gehen werde. Ich bin sehr erfüllt und freue mich auf die kommenden Wege, die mich an mein persönliches Ziel bringen werden … mir weiterhelfen werden, meine eigenen inneren Blockaden zu lösen, meine Schutzmauer die ich aufbaute komplett abzubauen … das Leben ist der Weg zum Ziel - zur eigenen Selbsterfüllung und Selbstfindung und das Schöne ist, wir können alle von einander lernen und uns gegenseitig helfen !

 

Vielen Dank !